Vektor Borkum – Sylt

Bericht der ersten direkten Querung der inneren Deutschen Bucht im Seekajak

Vorwort des Artikel im Magazin „SEEKAJAK“ der Salzwasser Union e.V.

Es ist 04:30, ich kauere am noch dunklen Strand. Am Horizont blinkt das weiße Leuchtfeuer von Helgoland. Ich wähle die Nummer der Rettungsleitstelle der Seenotretter in Bremen.

„Moin MRCC… dies ist KEIN Notfall. Haben Sie kurz Zeit für eine Fahrtinfo?
Mein Name ist Steffen Wagner, Rufzeichen DD 8950. Ich bin am Nordstrand von Borkum und starte gleich mit meinem Seekajak nach Hörnum, Sylt. Ich habe mich lange intensiv vorbereitet, habe genug Wasser und ein erprobtes flüssiges Ernährungssystem. Ich bin Seekajakfahrer mit Erfahrung in langen Querungen und aktives Mitglied der SALZWASSER UNION. Dies ist mein zweiter Versuch auf dieser Strecke, den ersten habe ich vor 5 Wochen nach 9 Stunden abgebrochen. Ich habe eine aufgrund der Erfahrungen des letzten Mals optimierte Routenplanung. Auf dem UFS GB werde ich eine Pause einlegen. Mit der Ankunft in Hörnum rechne ich morgen am späten Nachmittag. Dieses Zeitfenster ist mit einem Meteorologen abgestimmt….“

Dann folgen im vorbereiteten Text noch Details zu meiner Navigations- und Notfallausrüstung. Der Wachhabende kann sich an meinen ersten Versuch erinnern, hat keine Fragen, meint, das klänge, als würde ich wissen, was ich tue und wünscht mir „viel Spaß“.

 

 Wenn es noch nie jemand geschafft hat, dann wirds ja mal Zeit!

Markus Z., Seekajak-Abenteurer

Ein Plan entsteht

Es war vor ca. 3 Jahren, als mein Paddelfreund für anspruchsvolle Touren mich auf die Idee ansprach, die innere Deutsche Bucht (d.h. deren deutschen Teil) erstmals auf der längstmöglichen Route zu queren. Zusammen hatten wir schon einige ausgedehnte Fahrten im wundervollen Revier der Weser- und Elbmündungen bis hinaus nach Helgoland gemacht.

Die Idee faszinierte mich sofort, vielleicht gerade weil sie zunächst einmal kühn erschien und eine sehr gewissenhafte Planung und Vorbereitung erforderte.

Da die Distanz zwischen Borkum und Hörnum auf Sylt rund 170 km beträgt, war schnell klar, dass dies in zwei Einer-Seekajaks nonstop nicht zu machen ist. Ein Zwischenstopp auf Helgoland gefiel mir jedoch nicht. In der geraden Linie lag gerade der besondere Reiz für mich. Zudem würde Helgoland einen Umweg bedeuten, da unsere Hochseeinsel 30 km östlich des direkten Kurses liegt. Michael Koop und Udo Weiterer waren bereits einmal von Helgoland nach Amrum gepaddelt, so dass dies von dort auch kein Seekajak-Neuland mehr sein würde. Ich wollte eine neue Route.

Nur wie sollte es gehen? War es überhaupt möglich? Über längere Zeit blieb das Projekt liegen, am Rande meines Blickwinkels.

Irgendwann stieß ich dann beim googeln zufällig auf die Feuerschiffe.

Track von Norddeich bis Dagebüll (230 km)
04.-07.08.2024
(Quelle: Garmin inReach)

Früher verstand man darunter größere Schiffe, die als bemannte Hochsee-Leuchttürme in den Flussmündungen dauerhaft verankert lagen. Eins davon, die „Elbe 3“ liegt heute beim Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven.

Nanu, heute gibt es doch keine Feuerschiffe mehr, dachte ich und las weiter. Doch, es gibt in Deutschland noch drei aktive, sogenannte unbemannte Feuerschiffe (UFS) die wechselweise auf zwei Positionen an den beiden Enden des Verkehrs­trennungs­gebietes „German Bight Western Approach“ liegen. Eins vor Emden und eins… fast exakt auf der Mitte der Strecke Borkum-Sylt. Auf Fotos des UFS konnte ich Leitern auf beiden Seiten erkennen und auch einen Schutzraum für Schiffbrüchige solle es geben: BINGO!

Für mich gab es damit nur noch eine logische Route. Die Schwierigkeit der „Enterung“ eines Schiffes auf hoher See mit entsprechendem Seegang wäre eine zusätzliche Herausforderung, die sich aber bei entsprechender Vorbereitung in den Griff bekommen lassen würde. Leider war mein Freund da anderer Meinung. Daher verfolgte ich das Projekt, das ich „Vektor B-S“ taufte, nun alleine weiter.

Fragen und Antworten

Aber barg diese Unternehmung nicht durch ihre Ausgesetztheit und Länge zu zweit schon genug Risiken? War sie als Solotour überhaupt verantwortbar?

Meine Analyse dieser Frage kam zum Ergebnis: Ja, sie ist vielleicht sogar die bessere Alternative. Das Zeitfenster bei der Terminfindung (Wetter, Tide, Urlaub) ist größer als bei einem Zweierteam, vor allem, da ich beruflich auch unter der Woche relativ flexibel bin. Das Risiko von Verletzungen und Materialversagen halbiert sich, die Möglichkeit stets mein individuelles Tempo fahren zu können bedeutet einen Zeitvorteil und Geschwindigkeit ist letztlich auch Sicherheit. Bei wirklich gravierenden Verletzungen kann auch ein Partner nicht helfen, da muss dann die Kavallerie kommen.

Ich kann mich an einen Fall erinnern, bei dem es gut war, einen Partner zu haben: 10 km südlich von Helgoland riss ein Steuerseil und im Fußraum musste eine Verlängerung angeknotet werden. Das konnte nur der Partner machen. Ich überlegte, ob sich nicht auch diese Reparatur alleine durchführen ließe. Ein Versuch ergab: In der Luftblase des gekenterten Bootes schwimmend kommt man gut an die Fußrasten heran und hell genug ist es durch die Lichtreflexion auch.

Die letzte Überholung / Reinigung war im Februar 2024

Nachdem somit der Entschluss zur Solofahrt gefasst war, tat sich ein neues Problem auf: Als einziger Landeplatz weit und breit würde das UFS leider auch Lieblingsplatz vieler Möwen und dementsprechend vollgekotet sein. Vogelkot kann eingeatmet eine Reihe von Krankheiten auslösen.

Aber wir haben ja in der Pandemie gelernt:  Ich würde bei Bedarf eine FP3 Maske aufsetzen.

Weitere Fragen gab es zu Bedenken:

  • Wie berechnet man einen Vorhaltekurs über mehrere Stunden, wenn man nicht parallel mit dem Strom raus fährt, wie von Cuxhaven nach Helgoland, sondern der Strom seitlich kommt und ständig die Richtung ändert?
  • Wie kann ich, auf einer Schiffsleiter stehend, einen Lukendeckel öffnen und wieder schließen, wenn man dazu beide Hände benötigt und das Kajak noch dazu vom Swell ständig hoch und runterbewegt wird?
  • Wie verhindere ich, dass das Boot dabei an der Bordwand schrappt und beschädigt wird?
  • Wie stabilisiere ich das Kajak bei Übelkeit oder leichter Schwäche, wenn kein Partner für ein Päckchen da ist?
  • Wie ernähre ich mich über einen Zeitraum von zwölf Stunden so, dass die Leistungsfähigkeit nicht abfällt und immer eine Hand zum Stützen am Paddel bleiben kann?
  • Welche Paddel setze ich ein, um sowohl schnell und effizient vorwärts zu kommen als auch Verspannungen in der Schulter durch einen Wechsel „rauspaddeln“ und einer Sehnenscheidenentzündung vorbeugen zu können?
  • Wie bekomme ich die benötigte Ausrüstung in Griffweite unter, da mein Kajak keine Tagesluke hinter dem Sitz bietet?
  • Wie viel Wasser benötige ich? Nichts wäre ja schlimmer, als wenn etliche Stunden vor dem Ufer bei einem sonnigen Tag das Trinkwasser ausgeht
  • Und letztlich: Würde ich nach einem 11-12 stündigen Paddeltag am nächsten Morgen soweit erholt sein, um noch einen zweiten, längeren, dran hängen zu können?

Meine Antworten darauf lauteten: Mit einem „Open Water Navigation and Tidal Planning Certificate“ bei Online Seakayaking, Klettergurt und einer langen Bandschlinge, mittig angekletteten Zölzer Floats, selbige, Peronin-Pulver, Lettman Warp Wing plus Aleut, Einbau eines Lukendeckels, 20 Litern und „ja“, denn ich kenne meine Regenerationsfähigkeit.

Bei der letzten großen Unbekannten holte ich mir professionelle Hilfe. Mein Freund Lars Klüser ist nicht nur Seekajak-Coach, sondern auch Meteorologe. Er würde mich bei der Auswahl eines stabilen, zweitägigen Wetterfensters beraten. Ihn an meiner Seite zu wissen, war für mich von unschätzbarem Wert.

Der erste Versuch…

ging in die Hose und trug damit doch zum Erfolg bei.

Far Out!, meine „Tarantel“

Rast am Strand von Borkum

Lars hatte mir eine Freigabe für den 23. und 24. Juni 2024 erteilt. Dann würde es ziemlich windstill sein. Das galt aber nicht für den Vortag, an dem ich gegen einen 4er mit 6er Böen aus West mit kurzen Wind-gegen-Strom Wellen von Norddeich nach Borkum stampfte. Aber im Laufe des Abends ließ der Wind tatsächlich nach und ich konnte am frühen Morgen bei fast-Flaute zunächst in Richtung Kachelotplate starten.

Und genau das war auch schon der Fehler, der diesen Plan letztlich misslingen ließ. Ich hatte nämlich eine komplizierte Route mit zahlreichen Zwischenzielen geplant. Nach der Plate sollte es zur Tonne TG3 am Rande des Verkehrstrennungsgebietes (VTG) gehen. Deren beide Fahrbahnen wollte ich, seemännisch korrekt, rechtwinklig queren, mit einer schrägen Querung des Mittelstreifens.

Umspannstation Dolwin Beta

Dann wollte ich die gewaltigen Umspannstationen Dolwin Beta und Godewind 3 der dortigen Windparks ansteuern. Zum einen weil dort, 35 km vor Juist, wohl noch nie ein Kajakfahrer gewesen ist, vor allem aber, da ich der Meinung war, damit leicht ansteuerbare Sichtziele zu haben, die es mir ersparen würden, ständig auf den Kompass schauen zu müssen. Diese Haken bedeuteten aber einen Umweg von in Summe 10 km und führten letztlich zu einer deutlichen Hundekurve vor Dolwin Beta, die ich gegen die einlaufende Flut erzwungen noch erreichen wollte, obwohl ich eigentlich längst hätte abdrehen können, um mit der Flut zum Feuerschiff zu laufen.

Das etwa einstündige, in Bezug auf mein eigentliches Vorhaben völlig sinnlose Anpaddeln gegen den Strom hatte mich so mitgenommen, dass mir von jetzt auf gleich schwindlig und die Arme schwer wurden, als ich nach dem Abdrehen realisierte, dass es nun immer noch 40 km bis zum UFS waren. Immerhin war ich ja schon sieben Stunden unterwegs. Langsam wieder zu Kräften kommend, rechnete ich mir beim Weiterfahren aus, dass ich voll in den stärksten Gegenstrom der Ebbe kommen würde und dass sich damit meiner Fahrzeit in etwa noch verdoppeln würde. Mindestens, denn mein Vertrauen in die Konstanz meiner Leistungsfähigkeit hatte ja gerade einen Knacks bekommen.

DISPATCHER im Windpark Godewind

Umzug von der DISPATCHER auf die VIVACE

Ohne Alternative hätte ich mein Ziel vermutlich trotzdem irgendwann erreicht. Nach weiteren zwei Stunden lagen dann aber mitten im Windpark Godewind gleich mehrere Versorgerschiffe direkt auf meinem Kurs. Ich geriet ins Grübeln: Sollte ich die Tour fortsetzen oder sie angesichts der absehbaren Konsequenzen eines Planungsfehlers an dieser Stelle abbrechen? Schweren Herzens entschloß ich mich für Letzteres, funkte den doppelrümpfigen Windpark-Versorger DISPATCHER an und bat darum, aufgenommen zu werden. Da die DISPATCHER jedoch im 24/7 Einsatz für mehrere Tage auf See war, übergab mich die zweiköpfige Crew nach Funkabstimmung mit der Leitstelle des Windparks an den Versorger VIVACE, der jeden Tag zwischen Norddeich und dem Windpark pendelte. Er würde mich am Abend, ohne dafür einen Umweg machen zu müssen, an meinen Ausgangspunkt zurück bringen. Eine angebotene Bezahlung lehnte die freundliche internationale Besatzung kategorisch ab: „We are both seamen!“

Dieser Versuch war also gescheitert. Aber wer hinfällt, sollte schnell wieder aufstehen.

Wer wagt, gewinnt

Start wieder 1,5h vor NW

Rund 6 Wochen später, am 05. August, schiebe ich Far Out! um 05:00 erneut von Borkum aus ins Wasser.

Was wollte ich beim zweiten Versuch anders machen? Diesmal würde ich nach der Rundung der Kachelotplate direkten Kurs auf das Feuerschiff absetzen. Da ich dafür ca. elf Stunden veranschlagte, war der Vorhaltewinkel zu vernachlässigen, da sich die Richtung der Tidenströme in diesem Zeitraum einmal im Kreis drehen (siehe: „Ziele hinter dem Horizont„, SEEKAJAK 178). Ein leichter Südwind schiebt mich mit 2-3 Bft.

Nach drei Stunden erreiche ich das Verkehrstrennungsgebiet und sehe dort zunächst keine Schiffe, höre aber über Kanal 16 die Küstenfunkstelle, die einen Maersk Riesen über das Eintreffen des Lotsen per Hubschrauber informiert. So weiß ich, dass bald links hinter mir ein blauer Rumpf auftauchen würde.

Als sich dieser dann aus dem Dunst schält, schaue ich auf mein GPS, um zu sehen, wo die Grenze des VTG genau verläuft. Ich bekomme zunächst einen Schreck als ich sehe, dass mein GPS keine Seekarteninfos mehr anzeigt. Offenbar war gestern Abend beim Wechsel der Batterien die Micro SD-Karte verrutscht. Öffnen möchte ich das Gerät auf See aber nicht. Wie gut, dass ich als Backup das GPS einer Vereinskameradin mitführe, das ich mit derselben Karte ausgestattet habe.

Aus dem Mittelstreifen zwischen den Fahrbahnen beobachte ich dann die aus der anderen Richtung kommenden Frachter, die nun seewärts gehen. Der Nächste ist noch recht weit entfernt als ich das Fahrwasser quere, aber es ist erstaunlich, wie sich ein schnell näher kommender Frachter auf die Paddelfrequenz auswirkt.😅

Die großen Umspannstationen der jetzt beginnenden Windparks Dolwin und Godewind kenne ich ja bereits, lasse sie links liegen und steuere weiter Richtung UFS. Stunden vergehen und ich fahre, wie auf der gesamten Strecke, ziemlich konstant einen Schnitt von 4 Knoten. Irgendwann taucht eine rote Tonne genau vor mir auf, die ich anhand ihrer Position sofort als das UFS identifiziere. Na toll, denke ich, wenn das Feuerschiff kurzfristig gegen eine Tonne ersetzt wurde, kann ich dort gleich meinen Notfallknopf drücken.

Nach einer weiteren Stunde taucht aber langsam ein Rumpf unter der Tonne auf, die also, wie vermutet, nur der Turm des UFS war. Vor mir schwimmt ein weißes Objekt. Es ist ein toter Schweinswal, der Kopf zertrümmert von einer Schraube. Wie um mich mit dem traurigen Anblick zu versöhnen, taucht wenige Minuten später eine Schweinswalkuh mit ihrem Jungtier, das sich dicht ans sie drängt, auf.

Rundumsicht mit Blick auf das ferne Helgoland im Osten

Nach elf Stunden bin ich am UFS und höre bereits von weitem ein Nebelhorn. Auweia, denke ich, das steht also hinter dem auf der Karte angegebenen Begriff „Nautophone“: ein elektronisches Nebelhorn, dass auch bei schönstem Sonnenschein die Stille massiv stört.

Der einsamste Biwakplatz der Nordsee

Ich vertäue Far Outs lange starke Vorleine an meiner Weste und steige mit dem Wassersack über der Schulter die Leiter hinauf, um zunächst einmal zu inspizieren, welche Ausrüstung ich benötige. Dabei verscheuche ich die letzten der Möwen, die bei meiner Annäherung zahlreich die Aufbauten bevölkerten. An Deck belege ich die Leine an der Reling und halte sie dabei geradezu krampfhaft fest umklammert. Nicht auszudenken, was ich täte, wenn mir diese Leine durch die Finger liefe!

Safety Room mit Alarm-Knopf

Das Deck ist wie erwartet von Vogelkot übersät. Der nur 4m2 große Notfallraum ist jedoch sauber und enthält eine in Plastik einschweißte Matratze und eine Decke, die ich als Unterlage nutzen werde. So brauche ich keine Liegeunterlage, sondern hole nur den in Borkum vorgepackten Seesack mit Kocher, Nahrung und Klamotten aus dem achteren Schott und werfe den Schlafsack dazu.

Viel gibt es auf dem Schiff nicht zu entdecken. Ich klettere auf das Oberdeck und erkenne deutlich das breite Felsband Helgolands im Osten. Allerdings niedriger als gewohnt, denn die Insel ist ja 30 km entfernt. Das Nebelhorn dröhnt dazu ohrenbetäubend mit je drei langen Tönen alle 30 Sekunden.

Da Helgoland sichtbar ist, gibt es an Bord sogar schwaches 4G Netz. Damit habe ich nicht gerechnet und informiere gleich das MRCC per Mail über meinen Standort. Kurze Zeit später wünscht mir der Wachhabende dort eine gute Nacht. Wie nett!

Ausblick mit gemischten Gefühlen

Far Out! mache ich nun für die Nacht klar, schließe das Cockpit und vertäue sie achteraus in ca. 10m Abstand. Dabei ziehe ich die Leine durch Knebel UND Rundumleine, falls wider Erwarten eins der beiden brechen sollte.

Nach all der Flüssignahrung des Tages freue ich mich dann auf eine leckere, stärkende Mahlzeit.

Die Nacht ist sehr unruhig, denn neben dem Nebelhorn macht auch der Generator den Eindruck, als sei er ein ausgewachsener Schiffsdiesel. Ich mag aber keine Ohrstöpsel benutzen aus Sorge, dann meinen 05:00 Wecker nicht zu hören, denn ich muss um 06:15 wieder im Boot sitzen.

Nachts muss ich mehrmals an die Reling und stets schweift mein Blick als Erstes ans Heck, wo mein Kajak von der unruhiger gewordenen See teils recht unsanft hin und her geworfen wird.

Morgendämmerung am Schiff

Um 6:15 sitze ich tatsächlich wieder im Boot und bin froh, in die rosafarbene Stille des neuen Tages zu gleiten.

Erholt geht es weiter

Heute wird es den ganzen Tag lang wolkenlos sonnig sein. Damit würden Wolken, die ich am Vortag noch als Sichtziele nutzen konnte, wegfallen. Aber ich hatte schon festgestellt, dass ich den cockpitnah angebrachten Deckskompass viel besser und vor allem schneller ablesen kann als den in der Spitzenmulde verschraubten Silva meines Nordkapps. Es würde mir nichts mehr ausmachen, stundenlang nur nach Kompass zu steuern.

Ein kleiner aber wichtiger Planungsfehler hatte sich am Vorabend gezeigt: Ich war trotz der 20 Liter knapp an Wasser. Unter dem Druck, Wasser zu sparen, mache ich noch einen Folgefehler: Einen Trinksack mit Peronin, der am Vortag nur halb leer wurde, gieße und spüle ich nicht aus, sondern fülle ihn mit Pulver und Wasser erneut auf. Dass das absolut keine gute Idee war, merke ich bereits nach kurzer Fahrt. Die Flüssignahrung war umgeschlagen und schmeckte erst nur schlecht und dann leicht nach Erbrochenem. Ich konnte es mir aber nicht leisten den Inhalt wegzuschütten und neu anzusetzen, sondern muss eine Weile weiter davon trinken. Brrrrrr, Nase zuhalten und runter damit. Gut, dass ich einen robusten Magen habe. Am Schluss soll ich mit noch einem halben Liter Wasser in Hörnum ankommen.

Da ich quasi auf der Flutwelle paddele, und zwei Stunden vor NW Helgoland beim UFS starte, muss ich auch bei zwölfstündiger Fahrt nicht gegen den vollen Ebbstrom in Hörnum anfahren, sondern komme dort 1,5h nach HW an.
(Quelle: meine Wattpaddler App)

Paddeln im diesigen Blau

 

Die heutige Etappe ist noch einsamer als die gestrige, da keine Schifffahrtsroute mehr zu queren ist und ich auch nur einen kleineren Windpark passiere. Als dieser nach einigen Stunden achteraus liegt, geht der Blick nur noch in Richtung Horizont. Meditatives Paddeln in Reinform. Nur gelegentlich schaue ich auf die Uhr und murmele mir zu „wir sind in der siebten… achten… neunten… zehnten Stunde“.

Vier Stunden vor dem Ziel landet eine Fliege auf meinem Vorschiff. Wohl erschöpft, der Wind hat sie rausgetragen. Über Stunden krabbelt sie von hier nach dort und sucht sich letztlich einen geschützten Platz unter meinem Reservepaddel.

Es weht ein SO mit Stärke 3-4, dessen 60-80cm hohen Wellen treffen von der Seite auf mein Kajak. Leider in dem Winkel nicht surfbar. Deswegen halte ich eine ganze zeitlang ca. 5° nach Süden vor. Erst als mein Navi auch nach längerer Zeit einen gleichbleibenden, nördlicheren Kurs zum Hörnumer Leuchtturm, meinem Ziel, angibt, schwenke ich auf den direkten Kurs dorthin ein. Heute ist es diesig, die Fernsicht ist nicht gut und so erkenne ich den Turm erst relativ spät. Leider lässt nun die Spannung meiner Rückenmuskulatur nach und ich sacke immer wieder nach hinten. Natürlich dauert es immer noch gut zwei Stunden, bis ich mich, den starken Ebbstrom nördlich umfahrend, im Kehrwasser ganz dicht unter Land ins Gatt saugen lassen kann.

Kurz vor der Einfahrt ins Gatt brechen sich dann bei mir die Gefühle ihren Weg: Tränen der Freude und wohl auch der Erleichterung laufen mir über die Wangen.

Mein erster Anruf nach der Ankunft im Segelhafen gilt dem MRCC, bei dem ich die Tour auschecke.

Ich liebe es, wenn ein Plan funktioniert!
Hannibal, The A-Team

Nachtrag: Hinweise

Es dürfte eigentlich auf der Hand liegen, aber ich will es noch einmal betonen: Eine Tour wie diese liegt im absoluten Grenzbereich des Seekajakfahrens. Ich empfehle sie daher explizit nicht zur Nachahmung. Meine Vorbereitung dafür lief über einen langen Zeitraum und umfasste neben physischem Training (viel Paddeln, Rumpf-Krafttraining), Verbesserung des Paddelstils, detaillierte Planung und Optimierung der Ausrüstung, Beschäftigung mit strömungstechnischer Kettenvektor-Navigation und gezieltem Einsatz eines GPS Kartenplotters, dem Finden und Testen einer geeigneten Form der flüssigen Ernährung auch die Auseinandersetzung mit der extremen Isolation durch lange, exponierte Solofahrten und der Visualisierung von Zielen. Je nach Position hätte selbst ein Rettungskreuzer über eine Stunde bis zu mir benötigt. Man sollte seine Leistungsfähigkeit, Ausdauer und psychische Robustheit schon sehr gut kennen, bevor man sich an eine solche Tour heran wagt.

Das Feuerschiff ist definitiv nicht für Besuche geeignet. Die Gefahr, bei höherem Swell sein Gepäck nicht aus dem Boot zu bekommen, ohne dass es im Wasser landet ist groß, es gibt nur eine Pritsche und der Vogelkot verbietet auch bei gutem Wetter eine Übernachtung an Deck. Der Lärm durch Nebelhorn und die Maschine ist rund um die Uhr sehr hoch und lässt einen kaum zur Ruhe kommen. In der Nacht hatte ich stets Sorge, dass eine zur Strömung quer einlaufende Windsee mein am Heck vertäutes Kajak gegen den Rumpf schiebt und es dabei beschädigt.
Mein Rat also: Ein Ort zum Überleben, nicht aber zum Übernachten!

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